Rohkost
Als Rohkost bezeichnet man eine Ernährungsweise, die aus vorwiegend unverarbeiteten Lebensmitteln besteht. Die meisten als Rohkost beschriebenen Kostformen enthalten überwiegend pflanzliche Lebensmittel.
Rohkost wurde im 19. Jahrhundert von verschiedenen Ernährungs-forschern als eine Art Heilnahrung angesehen, die therapiebegleitend bei verschiedenen Erkrankungen hilfreich sein sollte. Aufsehen erregende Erfolge erzielte Maximilian Bircher-Benner mit seiner “vegetabilen Rohkost“ bei Patienten mit Krankheiten des rheumatischen Formenkreises.
Rohkost-Kriterien und Rohkost-Konzepte:
Die verschiedenen Rohkostkonzepte unterscheiden sich primär in folgenden Aspekten:
- Mengenanteil roher Nahrung: 70 - 100 %
- Mengenanteil an tierischen Lebensmitteln
- Dauernahrung oder Heilnahrung über einen bestimmten Zeitabschnitt
In der populärwissenschaftlichen Literatur wird rohe Nahrung häufig mit Begriffen wie lebendig und vital verbunden, erhitzte Nahrung dagegen als denaturiert oder gar “tot“ bezeichnet. Häufig wird eine Temperatur von 40°C als Grenze zur “Denaturierung“ angegeben, weil ab dieser Temperatur die Enzyme nicht mehr aktiv sein können bzw. die “Proteine denaturiert würden“.
In der Praxis existiert eine Vielzahl von Rohkostkonzepten: Eine wissenschaftliche Bewertung ist schwierig, da viele Rohköstler nicht ausschließlich ein Konzept verfolgen und diese Form der Ernährung nur vorübergehend praktizieren.
In der Gießener Rohkost-Studie (Ergebnisse auf S. 4) nennen 30,9 % der praktizierenden Rohköstler als wichtigstes Rohkostbuch: “Willst Du gesund sein Vergiss den Kochtopf“ von Helmut Wandmaker, 26,5 % die “Instinctotherapie“ von Guy-Claude Burger und 17,6 % den “Großen Gesundheitskonz“ von Franz Konz.
Eine Übersicht populärer Rohkostkonzepte ist in der folgenden Tabelle zu finden.
Rohkost-Ernährung | |||
Vegetarische Rohkost | Rohkost mit Fleisch/Fisch | ||
Ovo-lakto-vegetabil | Vegane Rohkost | roh | roh/erhitzt |
Waerlandkost 1934 Åre und Ebba Waerland | ohne Getriede | Instincto-therapie 1985 Nach Guy-Claude Burger | Evers-Diät 1936 Dr. med. J. Evers |
Rohkost nach Walker 1940 Norman F. Walker | Obst-Rohkost Sonnenkost nach Helmut Wandmaker 1988 | ||
Rohkost nach Dr. Nolfi 1944 Kristine Nolfi M.D. | Urkost nach Franz Konz 1989 | ||
Enzyme Diet nach Edward Howell m.D. 1946 | Sunfood Diet Success System | Fit for life 1985 Harvey u. Marilyn Diamond | |
mit Getreide | Bioklimatische Ernährung 1990 Jean Huntzinger | ||
Fruitarian healing system 1907 nach Abramowski | |||
Schleimfreie Heilkost 1924 Ehret | |||
Urgesetz der natürlichen Ernährung 1924 Walter Sommer | |||
Natural Hygiene Diet 1928 | |||
Schnitzer Intensivkost 1975 | |||
Hippokrates Diet 1980 Wigmore | |||
Rainbow Diet 1986 Cousens | |||
Hallelujah Diet 1989 Malkmus |
Quelle: Semler, E.: Rohkost-Ernährung Ernährungs-Umschau 55 (2008) S. 280-289
Um eine umfassende wissenschaftliche Bewertung der Auswirkungen einer konsequent und dauerhaft angewandten Rohkosternährung vornehmen zu können, sind Langzeitstudien notwendig. Die bislang aussagekräftigsten Ergebnisse lieferte die Gießener Rohkoststudie, bei der nach ungefähr einem Jahrzehnt ein ausführlicher Fragebogen an die 201 Teilnehmer des Endkollektivs der Gießener Studie von 1993/1994 gesandt und ausgewertet wurde.
Ausgewählte Ergebnisse:
- Der durchschnittliche Rohkostanteil liegt bei 87,7 %
- Gründe für das Abbrechen einer reiner Rohkostnahrung waren “Frieren“, “Probleme mit den Zähnen“, “Blähungen“ und “Gewichtsverlust“
- 2/3 der Rohköstler ernährten sich vegetarisch, darunter 42,5 % vegan
- 92 % der Rohköstler möchten ihre Ernährung beibehalten
- Ein Drittel der Rohköstler fastet mindestens einmal pro Jahr
- 79,5 % treiben regelmäßig Sport
- Der durchschnittliche BMI der Männer liegt bei 21,3, der Frauen bei 20,5 kg/m²
- Das Problem von Untergewicht nimmt bei strengen Rohkost-varianten (> 90 %) deutlich zu
Vor- und Nachteile von Rohkost:
Vorteile:
- Ein hoher Anteil von frischen und unverarbeiteten,naturbelassenen Lebensmittel, wie er auch in der Vollwerternährung empfohlen wird
- Eine hohe Nährstoffdichte infolge hohen Verzehrs von ernährungs-physiologisch wertvollen Lebensmitteln wie Gemüse, Nüsse, Samen und Obst
- Ein hoher Verzehr von sekundären Pflanzen- und Ballaststoffen
- Rohkost ist stark basenüberschüssig Wie die Rohkoststudien zeigen, sind Rohköstler kaum übergewichtig
- Eine geringe Aufnahme von Genussmitteln wie Alkohol, Coffein und Nikotin
- Die Symptome bestimmter Erkrankungen, vor allem des rheumatischen Formenkreises, können sich durch eine Rohkosternährung deutlich verbessern
- Eine niedrige Salzzufuhr. Kochsalz (NaCl) kommt hauptsächlich in verarbeiteten Lebensmitteln vor. Zusammen mit einem hohen Kaliumgehalt (viel Obst und Gemüse) wird Bluthochdruck vorgebeugt.
Nachteile:
- Mangelhafte Aufnahme essentieller Nährstoffe wie Calcium, Eisen, Eiweiß, Jod, Vitamin B12, Vitamin D und Zink, da tierische Lebensmittel häufig gemieden werden
- Eine schlechtere Verträglichkeit ballaststoffreicher Lebensmittel (z. B. Hülsenfrüchte, Kohlarten und Vollkornprodukte), einhergehend mit Symptomen wie Blähungen, Krämpfe im Darm und Völlegefühl; insbesondere bei Menschen mit Neigung zum Reizdarm
- Eine schlechtere Resorption, z. B von Carotinoiden wie beta-Carotin und Lycopin (aus Möhren und Tomaten), die aufgrund von Erhitzungsprozessen wesentlich besser verfügbar sind
- Sie wirkt ungünstig bei Menschen mit Intoleranzen, wie z. B. Fruktose-Unverträglichkeit, was die Auswahl von Obst und Gemüsesorten einschränkt
- Eine erhöhte Aufnahme von Keimen, die nicht durch Erhitzungs-prozesse unschädlich gemacht wurden
- Im Kontext der Typgerechten Ernährung, der ayurvedischen Ernährungslehre sowie den Ernährungsempfehlungen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) wird bestimmten Körpertypen von einem zu hohen Rohkostanteil abgeraten. Eine allgemeine Empfehlung, die Nahrung ausschließlich roh zu verzehren, ist mit solchen bewährten Ansätzen nicht zu vereinbaren.
Literatur:
- Leitzmann u.a., Ernährung in Prävention und Therapie, Hippokrates, 3. Vollständig überarbeitete Auflage, Stuttgart 2009
- Matejka, R.: An Rohkost scheiden sich die Geister – Wieviel ungekochte Nahrung bekommt Ihnen? Naturheilkundliche Ratgeber EV-09
- Semler, E.: Rohkost-Ernährung: Eine Untersuchung von Langzeit-Rohköstlern; Ernährungs-Umschau 55 (2008)