Orthorexia Nervosa
Der Begriff "Orthorexia nervosa" bezeichnet eine Essstörung, die wissenschaftlich noch nicht eindeutig definiert und klassifiziert ist. Der amerikanische Mediziner Steven Bratman erklärt die Orthorexia nervosa als "übersteigerte Fixierung auf "gesunde" Nahrungsmittel".
Typische Verhaltensweisen bei Orthorexia nervosa:
Die Orthorexie kann entstehen aus dem Wunsch, sich gesünder zu ernähren, abzunehmen und/oder Krankheiten vorzubeugen.
Nach Bratman entsteht daraus nach und nach ein Zwang, sich stets "richtig und gesund" zu ernähren.
- Die Auswahl der gesunden Lebensmittel wird von den Betroffenen ständig enger gefasst und kann dabei extreme Formen annehmen.
- Essen und Trinken wird nicht mehr als genussvoll angesehen, sondern nur unter dem Fokus des ernährungsphysiologischen Wertes betrachtet. Schuldgefühle beim Verzehr vermeintlich ungesunder Lebensmittel treten auf. Dieses Verhalten ähnelt dem von Mager- oder Fettsüchtigen, mit dem Unterschied, dass bei Orthorektikern nicht die Menge des Essens im Vordergrund steht, sondern die angenommene Qualität der Lebensmittel. Die Bandbreite der "nicht-richtigen" bzw. gesunden/ungesunden Lebensmittel ist dabei individuell. Eine Klassifizierung nach wissenschaftlichen Kriterien ist daher nicht möglich.
- Die Patienten verwenden zunehmend Zeit auf die Zusammenstellung ihres persönlichen Ernährungsplanes. Andere Hobbies oder Interessen werden immer weiter zurückgedrängt. Menschen mit einer fortgeschrittenen Orthorexie nehmen nur noch an gesellschaftlichen Anlässen teil, wenn sie eine Notration ihrer "erlaubten" Lebensmitteln dabei haben, oder sie meiden generell den Kontakt mit Personen, die sich nicht ähnlich ernähren. Daher kann eine solch extreme und einseitige Haltung zu sozialer Isolation führen.
- Orthorektiker fühlen sich aufgrund der Stärke ihrer Überzeugungen anderen Menschen überlegen und fühlen häufig einen missionarischen Auftrag diese zu “bekehren“.
Test auf Orthorexia nervosa:
Aktuell existiert lediglich ein von Bratman selbst entwickelter Fragebogen, mit dem eine Orthorexia nervosa “diagnostiziert“ werden kann:
- Denken Sie mehr als 3 Stunden am Tag über Ihre Ernährung nach?
- Planen Sie Ihre Mahlzeiten mehrere Tage im Voraus?
- Ist Ihnen der ernährungsphysiologische Wert Ihrer Mahlzeit wichtiger als die Freude an deren Verzehr?
- Hat die Steigerung der angenommenen Lebensmittelqualität zu einer Minderung Ihrer Lebensqualität geführt?
- Sind Sie in letzter Zeit mit sich strenger geworden?
- Steigert sich Ihr Selbstwertgefühl durch gesunde Ernährung?
- Verzichten Sie auf Lebensmittel, die Sie früher gerne gegessen haben, um nun “richtige” Lebensmittel zu essen?
- Haben Sie durch Ihre Essensgewohnheiten Probleme auszugehen und distanzieren Sie sich dadurch von Freunden und Familie?
- Fühlen Sie sich schuldig wenn Sie von Ihrer Diät abweichen?
- Fühlen Sie sich glücklich und unter Kontrolle wenn Sie sich gesund ernähren?
Auswertung:
0-2 Punkte: Das Essverhalten ist in Ordnung. Essen kann ohne schlechtem Gewissen genossen werden.
3-5 Punkte: Erste Anzeichen einer Orthorexia liegen vor. Vorsicht ist geboten.
6-8 Punkte: Es bestehen bereits ernste Probleme mit dem Essverhalten. Die Ernährung wird zu ernst genommen.
9 Punkte und mehr: Vorliegen einer Orthorexia. Fachliche Hilfe ist erforderlich.
Studien zur Orthorexia nervosa:
In einer ersten Studie über die krankhafte Fixierung auf gesundes Essen publiziert von Carlo Cannella vom Institut für Ernährungswissenschaften der römischen Universität La Sapienza, wurden 404 Personen zu ihrem Essverhalten befragt. Rund sieben Prozent der Teilnehmer wurden daraufhin als orthorektisch eingestuft. Die meisten zeigten entweder in angstbesetzten Situationen oder in glücklichen Momenten ein unkontrollierbares Bedürfnis zu essen, einhergehend mit einem Gefühl der Schuld.
Ergebnisse der Studie über Orthorexie sind:
- Typisch für den Orthorektiker ist der Glaube, "absolute Gesundheit" zu erreichen, und der Wunsch nach "totaler Kontrolle" über sich selbst;
- unter den Orthorektikern waren mehr Männer als Frauen. Erklärt wird dieses Phänomen mit dem Druck, den der Körperkult zunehmend auch auf Männer ausübt. Weil das männliche Schönheitsideal mehr in Gesundheit, Kraft und Muskeln als im Dünnsein bestehe, könnten Männer im gesundheitsfanatischen Essverhalten einen Weg suchen, sich diesem Ideal anzunähern.
- Der Wunsch abzunehmen, ist nicht unbedingt ein Merkmal für die Orthorexia nervosa. Hier wird wie auch bei der Magersucht (Anorexia nervosa) und der Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa) der Nahrung ein übertrieben hoher Stellenwert eingeräumt. Während sich magersüchtige Patienten aber auf die Quantität konzentrieren, steht bei Orthorektikern die vermeintliche Qualität des Essens im Vordergrund.
Abgrenzung zur Anorexia nervosa:
Die gesundheitsschädigenden Auswirkungen vor allem auf der körperlichen Ebene sind kaum mit denen der Anorexie (Magersucht) vergleichbar. Körperliche Symptome sind kaum vorhanden, schließlich erfolgt in den meisten Fällen ein Verzehr von qualitativ hochwertigen Lebensmitteln
Die psychioschen und sozialen Auswirkungen sind weitaus gravierender als die körperlichenen. Orthorektiker sind häufig gesellschaftlich isoliert und vereinsamt.
“Behandlung“ der Orthorexie:
Da eine klare wissenschaftliche Definition von Orthrexia nervosa noch nicht existiert, kann der Begriff “Therapie“ nur mit Vorbehalt verwendet werden.
Ziel einer Behandlung ist es, betroffene Menschen von ihrem zwanghaften Verhalten zu befreien und die Rückkehr ins gesellschaftliche Leben zu ermöglichen. Bedeutsam ist das Wiedererlernen von Genussfähigkeit.
Literatur:
- Angelopoulo,A.: Hilfe, ein Hamburger. Reutlinger General-Anzeiger unter www.gea.de/detail/201478
- Bratman, S.: The Orthorexia Home Page. www.orthorexia.com
- Degen, R.: Besessen vom gesunden Essen. Tabula 2 (2003) Informations- und Dokumentationsstelle am Institut für Ernährungswissenschaft der Universität Giessen: www.nutriinfo.de
- Mader, M.: Orthorexie − die Sucht, sich "gesund" zu ernähren. Dt. Med. Wochenschr
- News-Gesundheit.de: Neue Krankheit: Zwanghaft Gesundesser. www.news-gesundheit.de/fg/gesund19.html
Anorexie, Bulimia nervosa