Rachitis
Die Rachitis (griechisch rhachis, Wirbelsäule), auch bekannt als "Englische Krankheit", ist auf eine Störung des Kalzium- und Phosphatstoffwechsels, bedingt durch einen Vitamin D Mangel, zurückzuführen. Ihr Name beruht auf der erstmaligen Entdeckung Mitte des 16. Jahrhunderts in Großbritannien.
In Deutschland tritt die Rachitis kaum noch auf.
Geschichte der Rachitis:
Schon vor Jahrtausenden litten die Neandertaler an Knochenerweichung. Erklärt wird dies durch die zunehmende Dunkelheit während der Eiszeit. So konnte die stark pigmentierte Haut der Urbewohner nicht mehr genügend Vitamin D produzieren.
Verbreitet war die so genannte "Englische Krankheit" im Zeitalter der Industriellen Revolution in ganz Europa, die Leidtragenden waren in erster Linie Kinder. Sie wuchsen in der durch Industrieabgase verpesteten Luft der Städte auf und wurden als Gruben- oder Fabrikarbeiter ausgebeutet. Der Smog lag permanent über den Wohngebieten der Arbeiter, so dass die Sonne nicht mehr durchdringen konnte Der Hauptgrund für die Entwicklung der Rachitis lag in dem Mangel an Licht, das ein wichtiger Faktor für die Bildung des Vitamin D im Körper ist.
Lichtmangel, gekoppelt mit einer dauerhaften Mangelernährung führte zu einem Vitamin D Mangel, dessen Folge eine unzureichende Knochenentwicklung ist.
Die Grundlagen für die Heilung dieser Krankheit wurden erst Anfang des 20. Jahrhunderts in England geschaffen. Regelmäßige Lebertrangaben halfen dann, die Krankheit zu verhüten.
Krankheit und Symptome:
Rachitis ist definiert als gestörte Mineralisation des Knochens und Desorganisation der Wachstumsfugen bei Kindern; sie ist auf eine erniedrigte Konzentration von Calcium und/oder Phosphat im Blut und dadurch verursachte hormonelle Gegenregulationsmechanismen zurückzuführen. Die harte Substanz des Knochens besteht hauptsächlich aus Calciumphosphat. Bei Aufnahme in den Knochen, muss Vitamin D anwesend sein. Ist die Aufnahme von Calcium und Phosphat gestört, härtet der Knochen nicht richtig aus und ist zu weich, um das Gewicht des wachsenden Körpers zu tragen. Es können zwei verschiedene Rachitisgruppen unterschieden werden:
-
Häufig: Calciummangel-Rachitis, vorwiegend hervorgerufen durch eine erworbene Vitamin-D-Stoffwechselstörung oder eine mangelhafte Calciumaufnahme mit der Nahrung.
-
Selten: Phosphatmangel-Rachitis durch einen zumeist vererbten übermäßigen Phosphatverlust über die Nieren.
Da nur mit Hilfe von Vitamin D Calcium ins Blut aufgenommen und in die Knochen transportiert werden kann, entwickelt sich ein Calciummangel.
Die Krankheit tritt meistens zwischen dem zweiten Lebensmonat und zwei Jahren auf. Bereits im 2. - 3. Lebensmonat sind die Kinder unruhig, schreckhaft und schwitzen besonders am Hinterkopf. Ab den 3. - 4. Lebensmonaten können folgende Krankheitszeichen beobachtet werden: Die Kinder haben eine schlaffe Bauchdecke (Froschbauch), Verstopfung, eventuell Krämpfe und die Skelettveränderungen werden sichtbar. Es kommt zu einem verzögerten Verschluss der Schädelnähte oder zur Erweichung der Schädelknochen und zu Auftreibungen der Knorpel-Knochen-Grenze der Rippen (rachitischer Rosenkranz). Des Weiteren sind Verformungen des gesamten Skeletts zu beobachten, insbesondere Verbiegungen der Wirbelsäule, Umformung des Beckens und Verkrümmung der Oberschenkelknochen (O-Beine). Die Zähne brechen verzögert durch und weisen Schmelzdefekte auf und neigen daher leichter zu Karies.
Eine ähnliche Krankheit kann auch bei Erwachsenen auftreten und heißt Osteomalazie. In diesem Fall wird die Krankheit verursacht durch die mangelnde Fähigkeit der Knochenzellen zur Verkalkung.
Diagnose der Rachitis:
Die Diagnose wird durch Röntgenbilder gestützt. Die typischen Veränderungen der Knochen sind meist gut zu erkennen. Bei einer Blutuntersuchung lassen sich abnormale Werte von Calcium, Phosphat und alkalischer Phosphatase feststellen.
Prophylaxe der Rachitis:
Im ersten Lebensjahr bekommen die Kinder Vitamin D-Tabletten prophylaktisch verordnet. Diese Prophylaxe wird meist gekoppelt an eine Kariesprophylaxe mit Fluor. Die verordneten Tabletten sind leicht milch- und wasserlöslich und werden täglich verabreicht.
Die Bedeutung einer Rachitisprophylaxe bei Säuglingen wird durch das noch immer vorkommende Auftreten einer Rachitis begründet. Die Vitamin D Gehalte von Muttermilch und Kuhmilch sind häufig nicht ausreichend, um den Bedarf zu decken, so dass gebräuchliche Säuglingsnahrungen mit Vitamin D angereichert werden. Nach Empfehlungen der DGE wird bei Kindern unter einem Jahr eine tägliche Aufnahme von 10 µg Vitamin D empfohlen, bei größeren Kindern und Erwachsenen 5 µg, bei Schwangeren und Stillenden 10 µg.
Ursachen der Rachitis:
Der Aufbau der harten Knochensubstanz wird gestört durch
-
Calciummangel (siehe Calcium)
-
Vitamin-D-Mangel (Lichtmangel, mangelnde Zufuhr über die Nahrung
-
Hypokalzämie (niedriger Kalziumspiegel im Blut)
-
Hypophosphatämie (niedriger Phosphatspiegel im Blut): eine vererbliche Form der Rachitis ist z. B. der Phosphatdiabetes, bei dem die Resorption von Phospat in der Niere gestört ist. Mutationen eines Gens auf Chromosom vier sind verantwortlich für eine erbliche Form von Rachitis aufgrund von Phosphatmangel. Das Gen ist verantwortlich für die Produktion des so genannten Dentin-Matrix-Proteins. Dieses findet sich vor allem in der mineralisierten Knochenmatrix. Ist das Gen mutiert, kommt es zu einer Hypophosphatämie, bei der das Phosphat durch die Nieren verloren geht und somit für den Knochenaufbau fehlt.
-
Sonstige Ursachen: Leberkrankheiten; Zystinose, eine Stoffwechselstörung die zur Zerstörung der renalen Tubuli (in den Nieren) führt, die Folge ist eine vermehrte Ausscheidung von Phosphaten.
Therapie der Rachitis:
Erst nach der Entdeckung der Rachitis als UV-Lichtmangelerkrankung, gegen Ende des Jahrhunderts, wurde die eigentliche Lösung des Problems gefunden. Den Durchbruch lieferte die Erkenntnis, dass in Lebertran ein antirachitischer Stoff enthalten ist, das heute allen bekannte Vitamin D.
Die Behandlung bei Kindern besteht in der Gabe von täglich 100 bis 200 IE Vitamin D sowie Sonnenlicht oder Höhensonnenbestrahlung. Zusätzlich werden auch noch Calciumpräparate verordnet. Nach der Behandlung korrigieren sich die Knochenverbiegungen meistens von selbst. Die Grunderkrankungen werden begleitend therapiert.
Als Therapie der Rachitis als Folge des Phosphatdiabtes wird die Gabe von Phosphortabletten und Calcitriol empfohlen. Die Therapie sollte so früh wie möglich begonnen werden, um Skelettschäden zu vermeiden. Wegen der Gefahr der Entwicklung einer Nephrokalzinose, sollten regelmäßige Kontrollen der Niere durch Ultraschall erfolgen.
Literatur:
-
Kruse K: "Aktuelle Aspekte der Vitamin-D-Mangel-Rachitis". Monatsschrift Kinderheilkd 148:588-95
-
Lentze MJ et al.: "Pädiatrie - Grundlagen und Praxis". 2. Auflage, Springer
-