Sebastian Kneipp
Sebastian Kneipp, 17.5.1821 - 17.6.1897, war ein bedeutender Vorläufer der Lebensreform. Obwohl von Beruf Priester, beriet er Menschen auch bei körperlichen Leiden. Dabei wandte die damals bekannten naturheilkundichen Mittel und Erfahrungen an, die dadurch an Popularität gewannen.
Vita
17.5.1821 wurde Sebastian Anton Kneipp als Weberssohn in Stephansried geboren. Sein intensiver Wunsch war es, Priester zu werden. Seinen Beitrag zum Lebensunterhalt der Familie verdiente er bei einem Verwandten, der ihn abends und an Feiertagen zusätzlich unterrichtete. Das lang ersparte Geld fürs Studium verlor Kneipp 1841 bei einem Brand seines Elternhauses. Verschiedenen Förderern verdankte er Lateinkenntnisse und anderes für das Studium nötige Wissen, z.B. in der Botanik. Über Grönenbach führte Kneipps Weg nach Dillingen, wo er Abitur machte und zum Theologiestudium ins Lyceum aufgenommen wurde. Zu dieser Zeit schon an der damals oft tödlich verlaufenden Tuberkulose erkrankt, kurierte er sich selbst nach Anleitung des Buchs „Krafft und Würkung des frischen Wassers in die Leiber der Menschen …“ von Johann Siegemund Hahn. Wöchentlich mehrere Bäder in der Donau sowie Halbbäder und Güsse, die er auch während der Studienzeit in München fortführt, ließen ihn gesunden. Dies wurde bei der ärztlichen Untersuchung vor seiner Priesterweihe offiziell bestätigt. Er starb am 17. Juni 1897 in Wörishofen.
Schon seit 1950 „behandelte“ er Mitschüler und setzte diese Tätigkeit auch in Bad Wörishofen fort, wo er zum Beichtvater des dortigen Nonnenklosters berufen wurde. Dort setzte er sich für die brach liegende Landwirtschaft des Klosters ein, unterrichtet die Nonnen in Landbau und Imkerei. Im Lauf seines Lebens verfasste er zahlreiche Bücher zur Gesundheit der Menschen, zu Ackerbau und Viehhaltung und zur Imkerei.
Fünf Säulen
Die Therapie nach Kneipp, die sich im Lauf der Zeit zu einer Lehre entwickelte, lässt sich in fünf therapeutische Bereiche gliedern. Diese entsprechen den Verfahren der klassischen europäischen Naturheilverfahren, die in der traditionellen europäischen Medizin (TEM) eingesetzt werden. Die Kneipp-Therapie ist seit 2015 immaterielles Kulturerbe der UNESCO.
Hydrotherapie (Wasserheilkunde)
Unterschiedliche Arten von Wasseranwendungen kurbeln den Stoffwechsel an, beruhigen oder wirken reflektorisch auf die inneren Organe. Dabei spielen neben der Temperatur auch Dauer und Druck des Wassers eine Rolle. Meist werden Kneipp-Anwendungen mit kaltem Wasser oder Wechselduschen zur Stärkung der Abwehr in Verbindung gebracht. Hydrotherapie kann als Guss, Teil- oder Vollbad, Waschung oder durch Schöpfen eingesetzt werden. Praktiziert wird auch die Kombination mit anderen Therapieformen wie Hydrotherapie, (Bürsten)Massage oder Elektrotherapie.
Phytotherapie (Pflanzenheilkunde)
Als Wegbereiter der Lebensreform kann Kneipp das Verdienst zugeschrieben werden, das Wissen um die Heilkraft der Pflanzen in die Moderne übertragen und vor dem Vergessen bewahrt zu haben. Rund 60 heimische Pflanzen werden in seinem „Pflanzenatlas“ beschrieben, der das Buch „Meine Wasserkur“ ergänzte. Viele von ihnen sind inzwischen wissenschaftlich erforscht und in Wirkung und Wirksamkeit mit modernen wissenschaftlichen Methoden bestätigt.
Ernährungstherapie
Kneipp vertrat den Standpunkt der einfachen, nahrhaften Kost. Üppige Mahlzeiten, wie sie Wohlhabende und Adlige zu dieser Zeit zu verzehren pflegten, sah er ebenso als Mitverursacher von Krankheiten an wie die zu karge Kost der armen Menschen. Folglich empfahl er seinen Patienten entweder „einfache Bauernkost“ oder zusätzliche kalorienreiche Mahlzeiten mit Fleisch. Reichlich pflanzliche Kost, bei der auch reichlich Kräuter vertreten waren, bildeten die Basis.
Bewegung
Ein passendes Maß an Bewegung an der frischen Luft gehörte für Kneipp zur Therapie dazu. Dazu empfahl er vor allem tägliche Spaziergänge. Das Barfußlaufen hatte vor Kneipp schon Vinzenz Prießnitz in Gräfelfing propagiert und differenzierte Empfehlungen ausgesprochen: Barfußlaufen auf der Wiese, das morgendliche Taulaufen, Barfußlaufen im Schnee. Kneipp ergänzte um das Wassertreten, das Barfußlaufen auf den Steinen in der Waschküche. Die Kombination von Bewegung und Ordnungstherapie bot sich in der Kneipp-Kur besonders an.
Ordnungstherapie
Rhythmen und Rituale waren für Kneipp als Geistlichen besonders wichtig. Alleine durch die regelmäßigen Anwendungen erfüllten für die Kurgäste ordnungstherapeutische Prinzipien. Wenn nötig, machte Kneipp seine Patient/innen in seiner ihm eigenen unverblümten Sprache Vorhaltungen zu ihrem Lebensstil und zeigte Alternativen auf. Empfahl Kneipp Adligen eine sinnvolle, meist körperliche, Beschäftigung und schwer Arbeitenden regelmäßige Ruhepausen, so steht heute im Zentrum der Ordnungstherapie eher die innere Balance als Wechsel von Anspannung und Entspannung.
Kneipp und das Geld
Für seine Konsultationen und Vorträge verlangte Kneipp im Allgemeinen Honorare und Eintrittsgelder. Auch seine Bücher und Produktlizenzen erzielten Gewinne. Das Geld verwendete Kneipp zum größten Teil für den Bau von Einrichtungen wie Badehaus, Krankenhaus, Kindergarten und Armenhaus. Der Vorwurf, eigennützig zu handeln und sich am Leid der Menschen bereichern zu wollen, konnte nie bestätigt werden.
Kneipp und die Ärzte-/Apothekerschaft
Seit seiner Zeit in Wörishofen hielt Kneipp seine Sprechstunden zusammen mit einem Arzt. Zunächst mit Dr. Friedrich Bernhuber, später mit Dr. Alfred Baumgarten, der auch sein Biograph wurde. Immer wieder wurde Kneipp angefeindet und der Kurpfuscherei bezichtigt. Die erste Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Kurierverbot erfolgte 1853, weil er eine Cholerakranke geheilt hatte. Die Strafe betrug zwei Gulden. Der Richter konsultierte Kneipp anschließend wegen seines eigenen Gichtleidens.
Trotz eines richterlichen Behandlungsverbots war Kneipp während einer Cholera-Epidemie aktiv – und erfolgreich. Anschließend wurde er versetzt. Ein wirksames Sprachrohr der fortdauernden Anfeindungen war die Augsburger Allgemeine. Als ab 1869 in ganz Deutschland die Kurierfreiheit eingeführt wurde, stand Kneipp im Zentrum des Widerstands gegen diese neue Regelung. Ein Nachruf in der Münchener Medizinischen Wochenschrift zeigt die Ambivalenz der Ärzteschaft gegenüber Kneipp: „Denn wenn man auch vom ärztlichen Standpunkte aus die Thätigkeit Kneipps verwerfen und für schädlich erachten musste, so war er doch eine so originelle und interessante Erscheinung, dass er mit den Kurpfuschern gewöhnlichen Schlages nicht auf gleiche Stufe gestellt werden darf. Von diesen unterscheidet ihn vor Allem seine Uneigennützigkeit und seine Menschenliebe.
Kneipp-Organisationen
Kneipp-Vereine: Der erste Kneipp-Verein gründete sich 1890, Kneipp selbst war Ehrenpräsident. Bereits 1897schlossen sich die damals bestehenden Kneipp-Verein zum
Kneipp-Bund e.V. zusammen. Inzwischen sind im Kneipp-Bund über 1200 Vereine, zertifizierte Einrichtungen (Heil- und Kurorte, Krankenhäuser, Senioren-/Pflegeheime, Schulen, Kindertagesstätten) und Fachverbände organisiert. Er ist die größte deutsche private Gesundheitsorganisation und bringt über 200.000 Menschen täglich mit Naturheilverfahren in Kontakt. Der kommerzielle Zweig umfasst Weiterbildungsinstitutionen und Produktverkauf.
Kneippärztebund e.V.: 1894 gründete sich der internationale Kneipp-Ärztebund. In Europa ist dies die Ärztegesellschaft mit der längsten Tradition. Sie fördert Forschung und Lehre der klassischen Naturheilverfahren. Der Kneippärztebund setzt Schwerpunkte in den Bereichen Präventionsmedizin und Anwendung klassischer Naturheilverfahren.
Kneippverband: 1965 gründet sich der Kneippverband als „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kneippheilbäder und Kneippkurorte“. 1985 benennt er sich in „Die Kneippkur – Verband Deutscher Kneippheilbäder und Kneippkurorte“ um; Kurzform „Kneippverband“. Der Zusammenschluss der Heilbäder und Kurorte dient neben der Verbreitung und Pflege der Kneipp’schen Gesundheitsidee der Organisation und dem gemeinsamen Marketing der Orte.
Kneipp GmbH: 1891 erlaubt Kneipp dem Würzburger Apotheker Leonhard Oberhäußer das Recht, seine Produkte mit Bild und Namenszug von Kneipp zu versehen. Die „Kneipp-Mittel-Zentrale“ in Bad Wörishofen vertreibt ihre Gesundheitsprodukte international. Der Hauptsitz der Kneipp-GmbH befindet sich auch heute noch in Würzburg.
Kneipp-Therapie in der modernen Medizin
Die ganzheitliche Kneipp-Therapie mit ihren fünf Säulen wird in zertifizierten Kneipp-Kurorten und Kneipp-Heilbädern durchgeführt. Qualifizierte Kneipp-Badeärzte und qualifiziertes medizinisches Personal führen indikationsbezogene Wasseranwendungen durch. Phytotherapeuten oder Ärztinnen mit entsprechender Zusatzqualifikation, Ökotrophologinnen, Bewegungstherapeuten und Psychotherapeutinnen decken die übrigen vier Säulen ab.
In naturheilkundlich orientierten Krankenhäusern werden Elemente der Kneipp-Therapie eingesetzt. Leuchttürme sind die Charité und das Immanuel-Krankenhaus in Berlin, das Universitätsklinikum Essen-Mitte und die Sozialstiftung Bamberg.
Forschungsarbeiten belegen zunehmend die Wirksamkeit der Kneipp-Wasseranwendungen, wenngleich der Wirkmechanismus noch nicht zufriedenstellend erklärt werden kann.
Literatur:
- Kraft. K. et al. (Hg.): Lehrbuch der Naturheilverfahren, Hippokrates-Verlag
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https://www.gesundheitswissen.de/alternative-medizin/naturheilkunde/alle-kneipp-anwendungen-auf-einen-blick-wirkung-anwendung/https://www.apotheken-umschau.de/therapie/therapiearten/therapien-heilen-mit-wasser-828751.html
- https://www.gesundheitswissen.de/alternative-medizin/naturheilkunde/alle-kneipp-anwendungen-auf-einen-blick-wirkung-anwendung/
- https://www.heilpraxisnet.de/naturheilkunde/hydrotherapie/
Links: Hydrotherapie, Lebensreform, Phytotherapie